Am 30.April 1867 wurde Maria Cäcilia in Alttann (heute ein Ortsteil von Wolfegg) bei Ravensburg geboren, sie starb am 23.10.1947 in Haunstetten.
Kindheit
Marie war die uneheliche Tochter des reichen Unternehmers Georg Käß (1823-1903) und seiner langjährigen Haushälterin Karolina Lambert (1833-1912). Um 1870 nahm Georg Käß die kleine Marie und ihre Halbschwester Anna Mathilde (die 1857 geborene uneheliche Tochter Karolinas aus einer früheren Stellung) in sein Haunstetter Palais auf. Bis dahin lebten die beiden Mädchen ein bescheidenes Leben bei der Großmutter in Alttann, die jahrzehntelang auf die "Stör" ging. Das Leben im Hause des Millionärs Käß wurde von den Dienstboten stets nur im besten Sinne geschildert. Doch die Heiratsanzeige von Georg Käß und Caroline Lambert vom 03.05.1890 in der Augsburger Presse schlug ein wie eine Bombe. Georg Käß Familie in Schussenried, aber auch die verwandte Familie Martini in Augsburg waren schockiert.
Trauzeugen waren Theodor Graf von Loiblfing und Otto Graf von Pestalozza. Als Wohnorte waren Haunstetten und das 1890 erworbene und prachtvoll umgebaute Schloss Eurasburg am Starnberger See angegeben; 1891 kaufte Vater Georg noch das nahe gelegene Schloß Weidenkam. Beide ausgestattet u.a. mit Wäldern, Wiesen und Äckern, Brauerei, Sägewerk etc. In Weidenkam läßt Marie später die alten Bauten abreißen und 1911-1913 das Schloss und seine Nebengebäude von Karl Bauer neu bauen und mit Werken zeitgenössischer Künstler schmücken.
Heirat
Käß sorgte für Anna Mathilda und Marie Cäcilia. Anna Mathilda heiratete 1889 den Augsburger Schirmfabrikanten Johann Hattler.
Marie erhielt eine sorgfältige Bildung im Töchterinstitut der Englischen Fräulein in Pasing. 1898 heiratete sie mit Maximilian August Graf von Tattenbach (1856 - 1936) in das berühmte bayerische Adelsgeschlecht ein. Die Käß`sche Verwandtschaft hatte jedoch gehofft, Marie würde innerhalb der Verwandtschaft heiraten, so dass das Geld "in der Familie" bliebe.
Der Kommerzienrat setzt vor seinem Tod seine Tochter als Alleinerbin ein. So konnte sie ein Leben weitgehend nach ihren Wünschen führen, was in dieser Zeit nicht vielen Frauen vergönnt war. Vor allem Pferde, Jagd und Reitsport waren Lieblingsbeschäftigungen der jungen sportlichen Frau.
Graf Tattenbach wohnte zwar meist im Münchner Palais seiner Familie, kam aber des Öfteren nach Haunstetten. Die Haunstetter Zeitung vom 02.05.1908 berichtete, dass er in offener Equipage mit Prinz Alfons von Wittelsbach ankam und tags darauf zur Jagd ging.
Großzügiges Mäzenatentum
Die Tochter setzte das bereits von ihren Eltern ausgeübte Mäzenatentum zeitlebens fort:
1908 lässt Gräfin Tattenbach in Eurasburg neben dem Schloss eine der Unbefleckten Empfängnis Mariens geweihte Kirche für die Gemeinde bauen, die heute unter Denkmalschutz steht; Architekt war der Münchner Architekt Karl Bauer. 1909 wird diese vom Münchner Erzbischof Ritter von Thoma geweiht. Wie das "Wolfratshauser Wochenblatt berichtet, hat sie auch "das Eurasburger Landschaftsbild vor der Zerstörung bewahrt. Bereits 1905 erwarb ein norddeutsches Konsortium das Steinkohleschürfrecht . Als es begann, eine Schwemmsteinziegelfabrik mit Ringofen und 36 m hohen Kamin nahe dem Schloss zu bauen, kaufte Marie kurzerhand alle Rechte und Grundstücke auf. 1915 verkauft sie das Schloss zu einem sehr geringen Preis an das Seraphische Liebeswerk Altötting, das hier mitten im 1.Weltkrieg 120 Waisenkinder, eine Hilfsschule u.a. unterbringt. Heute sind ist das Schloss in Eigentumswohnungen aufgeteilt.
Einsatz für Haunstetten
Nicht alle ihre Zuwendungen kann man hier aufführen.
- 1910 wurden mit gräflicher Finanzhilfe für St. Georg neue Glocken erworben.
- Nur mit ihrer Unterstützung konnte der TSV Haunstetten 1914 -16 seine Turnhalle bauen.
- 1927 wurde dank ihrer finanziellen Unterstützung im Krankenhaus eine Zentralheizungsanlage eingebaut. Sie liefert kostenlos Waggons mit Brennholz, lässt die Hauskapelle erneuern und schenkt dem Krankenhaus ein Harmonium, auf dem bei der Weihnachtsfeier Pfarrer Schwair von St. Georg den weihnachtlichen Gesang begleitete.
- Durch ihre Zuwendung konnte das gemeindliche Elektrizitätswerke vergrößert werden.
Ehrenbürgerschaft
1927 ernannte der Gemeinderat sie zur Ehrenbürgerin. Bürgermeister Xaver Widmeier schrieb "Diese Ehrung sollte ein kleines äußeres Zeichen der Wertschätzung sein, die sie durch große Wohltaten .... erworben hat."
Nach dem zweiten Weltkrieg
Nach Ende des 2.Weltkrieges musste Bürgermeister Widmeier jahrelang wohnungslose Familien (insg. 45 Personen) in das Tattenbach-Palais einquartieren, so dass sie in ihren letzten Lebensjahren räumlich sehr stark eingeschränkt war. Die Amerikaner planten sogar, hier ein ukrainisches Gymnasium zu errichten. Schloss Weidenkam wurde von der US-Armee zehn Jahre lang beschlagnahmt. Die Gräfin musste ausziehen und im dortigen Pförtnerhaus wohnen. Begraben wurde sie im Außenbereich des Käß`schen Mausoleums auf dem Alten Haunstetter Friedhof.
Ihr Erbe
Als Alleinerbin setzte Gräfin Tattenbach testamentarisch ihre Hausdame Cläre Dautel (gest.1960) ein, die eine Praxis als Heilpraktikerin in Haunstetten in der Schulstraße 9 führte. Die Verwandtschaft, die auf das immer noch reiche Erbe hoffte, war nicht einverstanden. Eine Klage dagegen wurde aber vom Gericht abgewiesen. 1953 erwarb die Gemeinde Haunstetten von Cläre Dautel das Palais und baute es zum Rathaus um.
Cläre Dautel vermachte das gesamte Erbe der Religionsphilosophischen Arbeitsgemeinschaft (Augsburg). Diese führt in Schloss Weidenkam bis heute Tagungen u.a. zur Lehre des Religionsphilosophen Herman Weidelener durch, hält Meisterkurse für Klavier sowie Konzerte ab. Den großen Grundbesitz in Haunstetten verkaufte die Arbeitsgemeinschaft an eine Wohnungsbaugesellschaft.
Jutta Goßner, Kulturkreis Haunstetten, Dezember 2024