Kulturkreis Haunstetten e.V.

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Die tragischen Lebensgeschichten der letzten Besitzer der "Chemischen Fabrik Haunstetten"

Im März 1911 kauften Hugo Bein (1881 -1918) und Dr.ing. Karl Lehrburger (1879 - 1945), beide aus jüdischen Unternehmerfamilien in Augsburg und München stammend, die ehemalige Haunstetter Wachstuchfabrik - korrekter Name damals "Chemische Fabrik Haunstetten": So berichtet in ihrer Aprilnummer 1911 die angesehene Fachzeitschrift "Angewandte Chemie".
Im Augsburger Wirtschaftsleben mit seinen Nachbargemeinden spielten jüdische Familien in den Jahren, eine große Rolle, u.a. auch in der chemischen Industrie.
Damals, vor Einführung der Straßennamen hieß die Adresse der Chem.Fabrik Haunstetten Haus 110, seit 1972 ist es die Drususstraße (FOTO). Heute ist von der ehemaligen Fabrik in der Straße nichts mehr zu sehen und niemand erinnert sich an seine letzten Besitzer und ihre Schicksale.

In Haunstetten gab es seit Beginn des 19.Jh. in der Drususstraße eine angesehene Wachstuchfabrik, ihre Besitzer waren chronologisch Valentin Weber, Ferdinand Mittler und Heinrich Mayer. Neben Wachstüchern stellte man z.B. Fußbodenbeläge, Fensterrouleaux und Ölfarben her; eine Niederlage (Zweiggeschäft) befand sich zeitweise in der Augsburger Maximilianstraße.

Der neue Besitzer Hugo Bein starb 1918 als Soldat im 1.Weltkrieg. Auf dem Jüdischen Friedhof an der Haunstetter Straße ist eine zeitgenössische Gedenktafel für ihn und die anderen gefallenen jüdischen Augsburger zu sehen (FOTO).

Karl Lehrburger wohnte, wie damals viele Angehörige der bürgerlichen Oberschicht, in der Augsburger Kaiserstraße 43 1/2 (FOTO), heute Konrad-Adenauer-Allee.
Am 17.01.1920 teilt Dr.Lehrburger in der Haunstetter Zeitung den Lesern mit, dass er seine "Chemische Fabrik Haunstetten" samt Büro zum 01.01.1920 nach Augsburg-Oberhausen in die Hirblinger Straße verlegt habe. Ein Grund wird nicht genannt.
Im Mai 1932 feierte er noch die Bar-Mizwa, das Fest zur religiösen Mündigkeit seines Sohnes Norbert.
Doch bereits im August 1933, wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtergreifung kam Karl Lehrburger ins KZ Dachau (FOTO) und blieb dort bis Mai 1937 inhaftiert, wie die Akten des KZ zeigen.
1938 konnte er über Prag nach Palästina auswandern und in Haifa als Chemie-Ingenieur bei Shell bis zu seinem Tod 1945 arbeiten.
Zwischen 1933 und Ende 1938 emigrierten viele jüdische Bürger Augsburgs und suchten Zuflucht z.B, in den USA, Südamerika oder Palästina. Ab 1939 war dies jedoch unmöglich, der Massenmord an den Juden begann.

1938 aberkannte die Technische Universität München Karl Lehrburger aus antisemitischen Gründen die von ihm an der TU München 1907 erworbene Doktorwürde. Erst im Jahr 2006 - ganze 68 Jahre später! - wurde ihm von der Universität posthum der aberkannte Doktortitel wieder zuerkannt.
Ebenfalls 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.

Seine geschiedene Frau Ida emigrierte 1934 mit den beiden Kindern Margot (Sie hatte in Augsburg das Maria-Theresia-Gymnasium besucht.) und Norbert nach New York und starb dort 1976.

Viele Mitglieder der Familie Bein überlebten den Holocaust nicht, so z.B. Albert und Flora Bein, Mitbesitzer einer Käsegroßhandlung in Augsburg.
Sie emigrierten 1936 laut der New Yorker Historikerin Karen Franklin nach Amsterdam, wurden nach der Eroberung Hollands durch die Nationalsozialisten nach Sobibor deportiert und starben dort 1943, die Söhne bereits 1941 im KZ Mauthausen. Herbert Lehman, ihr Verwandter, der damalige Gouverneur von New York, konnte ihnen nicht helfen.


Wenn Sie nun einmal durch die Drususstraße gehen, dann denken Sie an das tragische Schicksal der beiden Unternehmer, das uns die Grausamkeit von Krieg und Diktatur zeigt.

Jutta Goßner
Kulturkreis Haunstetten e.V.
Vorsitzende 04.02.2021